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Der Ziegler von der Nachtigallenpforte

Aufstellort: Promenade Nachtigallenpforte
Idee: Ines Gast
Umsetzung: Ines Gast
Geschichte von: Ines Gast
Finanziert von: Ziegel Werk Nordhausen Dipl. Ing. Sourell GmbH

Es war einmal ein junger Ziegler, der lebte auf einer Anhöhe in Sichtweite der Türme der Stadt Nordhausen. Er war in der Tongrube seiner Vorväter aufgewachsen und war schon als Knabe von seinem Vater in die Kunst des Ziegelbrennens eingewiesen worden. Er war ein Meister seines Faches. Er verstand es, Ziegel jeder Größe, Farbe und Form zu brennen und ihnen eine Seele einzupflanzen, die sie im Sonnenlicht glänzen ließ. Bedauerlich war nur, dass die Menschen zu gleichgültig und blind waren, um dieses und andere Wunder wahrzunehmen. Für sie zählte allein, dass die Mauer hielt.

Der Ziegler wurde jeden Tag trauriger darüber, dass sich niemand für den Zauber seiner Ziegel interessierte. Allein, er hatte zwei Freunde, die seine Kunst zu schätzen wussten: eine Nachtigall, die in den höchsten Tönen sein Werk bejubelte und ihn zu immer schöneren Ziegeln inspirierte und einen Treppenkäfer, der selbst Ziegel zu brennen verstand und ihm oft zur Hand ging. In der Fertigung ganz kleiner Ziegel war der Treppenkäfer unschlagbar. Es war eine Lust ihm dabei zuzuschauen, denn er arbeitete mit vier Händen gleichzeitig.

Die beiden Freunde beschlossen insgeheim, etwas gegen die zunehmende Traurigkeit des Zieglers zu unternehmen. Eines Abends zogen sie gemeinsam vor die Mauer der Stadt. Im Mondenschein begann der Treppenkäfer mit vier Hämmerchen gleichzeitig Ziegel aus der Mauer zu lösen. Damit die Bürger innerhalb der Mauern von dem Lärm nicht geweckt würden, sang die Nachtigall aus Leibeskräften Stunde um Stunde ihr Lied. So ging es mehrere Nächte, bis sie endlich ein mannshohes Loch in die Stadtmauer gebrochen hatten und sich auf den Heimweg begaben.

Niemand hatte etwas bemerkt – nur die Tochter des Turmbläsers hatte Nacht für Nacht dem Gesang der Nachtigall gelauscht. Nun, da er abrupt endete, verließ sie ihre Kammer und ging dorthin, von wo sie den Gesang vernommen hatte. Sie sah das Loch in der Stadtmauer, ging hindurch und folgte dem unscheinbaren Pfad, der von der Stadt wegführte, bis sie am Hause des jungen Zieglers ankam. Der war zu dieser frühen Stunde schon bei der Arbeit. Gerade holte er einen seiner zauberhaften Ziegel aus dem Ofen, da kroch die Sonne über den Hügel und brachte den Ziegel wie den Ziegler zum Strahlen. „So hell“ flüsterte die Tochter des Turmbläsers. „So hell.“

Die Nachtigall wollte ihre Worte aufgreifen und dem Ziegler zurufen. Jedoch gelang ihr nur ein „Sourell, Sourell“. Der Ziegler drehte sich um und war vom Anblick des Mädchens so geblendet wie sie von seinem.

An diesem Tag arbeitete der Ziegler nicht mehr. Er und das Mädchen hatten sich viel zu erzählen. Am Abend begleitete der Ziegler das Mädchen zur Stadt, um um ihre Hand anzuhalten. Der Treppenkäfer und die Nachtigall begleiteten sie. Als sie durch das Loch in der Mauer traten, trafen sie auf eine Menschenmenge, die auf der Suche nach dem Mädchen nun auch das Loch in der Mauer entdeckt hatten.

Die Augen der beiden jungen Menschen strahlten in ihrer Liebe noch heller als die Sonne, und nun konnte niemand mehr den eigentümlichen Zauber der Ziegel übersehen. „So hell“ flüsterten alle. „So hell.“ Und die Nachtigall wiederholte „Sourell, Sourell“.
Gegen die Hochzeit hatte niemand etwas einzuwenden. Gefeiert wurde draußen vor dem Loch in der Stadtmauer, das man fortan „Nachtigallenpforte“ nannte.
Der Ziegler und seine Frau lebten glücklich immerfort.

Die Nordhäuser hatten erkannt, welchen besonderen Schatz sie in ihren Mauern bargen. Dem Treppenkäfer und der Nachtigall aber setzten sie zum Dank ein Denkmal.

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